Kriegsgefahr im Nahen Osten

geschrieben von Dieter Lachenmayer ( Landesgeschäftsführer der VVN - BdA Baden - Württemberg )

21. September 2012

Er erhebt keinesfalls den Anspruch, eine tiefschürfende oder wissenschaftliche Analyse der Situation im Nahen Osten zu sein, sondern versucht lediglich einige rote Fäden für die folgende Diskussion aufzuzeigen.

1.Unser Thema heißt Kriegsgefahr in Nahen Osten, im Reader sind jedoch alle möglichen Themen rund ums Thema Frieden angesprochen.

Was also wollen wir diskutieren?

Mein Vorschlag: Wir stellen die aktuell drohende Kriegsgefahr in Nahost und die Haltung der VVN-BdA dazu erst mal in den Mittelpunkt. Wir werden dann in der Diskussion erleben, dass sich die Zusammenhänge zu den allgemeinen friedenspolitischen Forderungen in unserem Land sehr schnell von selbst ergeben.

2. Frieden und Antifaschismus

Es gibt eine unlösbare Verbindung von Antifaschismus und Antimilitarismus, von Kampf gegen Faschismus und vom Kampf um den Frieden. Das ist im Schwur von Buchenwald festgehalten, in dem der „Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit“ zur Zielsetzung des Antifaschismus erklärt wird. Der Widerstand gegen den deutschen Faschismus wurde bereits vor der Machtübergabe unter der Parole: „Hitler bedeutet Krieg“ geführt. Schließlich war der deutsche Faschismus angetreten, die Ergebnisse des ersten Weltkriegs zu korrigieren und dem deutschen Imperialismus einen zweiten Anlauf zur Weltherrschaft zu organisieren. Daraus folgt für uns: Das Eintreten für Frieden ist nicht etwas, was wir nebenher auch noch machen sollten, es ist eine von drei Kernaufgaben, die wir als antifaschistische Organisation haben. (Vernichtung des Nazismus, Kampf für Frieden, Kampf für demokratische Rechte.) Der Kampf um Frieden, die Friedensbewegung ist nicht, auch wenn das vielfach ineinander übergeht, eine Einrichtung zur Förderung alles Guten und Bekämpfung alles Bösen auf der Welt. Es ist der Kampf um die Abwesenheit von Krieg, als Voraussetzung für die Lösung aller anderen Probleme, um die Verhinderung von massenhaftem staatlich politisch organisierten Mord und Totschlag. Dabei ist klar: Für uns Antifaschisten gilt: Der Feind steht im eigenen Land, d.h. es gilt in erster Linie das Augenmerk auf den deutschen Militarismus zu richten, der so viel Unheil über die Welt gebracht hat. Darin besteht auch insgesamt die Kompetenz unserer Friedensbewegung und die Verantwortung gegenüber den Friedensbewegungen in anderen Ländern. Das sage ich als jemand, der aus Stuttgart kommt, wo sowohl das Eucom als auch das Africom der US Armee ihren Sitz haben. Das sind zwei Kommandozentralen, in denen die militärische Kontrolle von grob geschätzt einem drittel der Welt durch die imperialistische Führungsmacht der Welt USA ausgeübt wird. Schon dass beide ihren Sitz in Stuttgart haben, zeigt, dass die deutsche Politik (sprich der deutsche Militarismus) tief verwickelt ist in die militärischen Aktivitäten der USA. Nicht nur direkte deutsche Kriegsbeteiligung ist von Bedeutung sondern auch das zur Verfügung stellen von Infrastruktur, Überflugrechten etc. Schließlich ist Deutschland auch drittgrößter Waffenexporteur. Die enge Verbindung der führenden westlichen Industriestaaten in gemeinsame militärische Abenteuer wird auch in der NATO sichtbar. Darauf hat Gert Deumlich mit seinem Beitrag im Reader hingewiesen.

3. Naher Osten

3.1. Neue Weltordnung Spätestens seit 1991 ist die Region zwischen dem Mittelmeer und dem arabischen Meer, die wir Naher Osten nennen, zum Objekt einer „Neuen Weltordnung“ geworden wie es der damalige US-Präsidenten Bush senior nannte; dh. eine Neuverteilung der Macht und Einflußspären, die nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten möglich wurde. Dass die Begehrlichkeit an dieser Region vor allem mit den Öl- und Rohstofflagern, den wichtigen Transportwegen Persischer Golf und Horn von Afrika zusammenhängt, aber auch anderen geopolitischen und strategischen Gegebenheiten, ist offenkundig. Während die religiös fundamentalistisch ausgestalteten arabischen Monarchien nachkolonial kooperieren stehen oder standen dieser Neugestaltung eine Reihe von Regimes gegenüber, die infolge arabisch nationalistischer Unabhängigkeitsbestrebungen installiert wurden, wie die Baath-Systeme Irak, Libyen, Syrien oder das infolge islamisch fundamentalistischer Bewegungen entstandene Regime im Iran, die sich seither einige Unabhängigkeit gegen den direkten imperalistischen Zugriff bewahrt haben. Über die innere Verfasstheit dieser Regime ist damit aber ausdrücklich nichts gesagt. Die Neue Weltordnung schlug sich im von den imperialistischen Führungsmächten offen benannten Ziel eines Regimewechsels in diesen Staaten nieder und führte in der jüngeren Vergangenheit zu einer Reihe allesamt sehr blutiger und opferreicher Aggressionskriege: der 1. Golfkrieg, den der Irak mit Billigung und Unterstützung der USA gegen den Iran 1980-88 führte der 1. Irakkrieg der USA und ihrer Willigen 1991 der 2. Irakkrieg 2003 der Krieg der Nato gegen Libyen 2011 (in diese Reihe gehört ebenfalls der bis heute andauernde Krieg gegen Afghanistan seit 2001) Das Projekt „Neue Weltordnung“ in der Nahostregion ist also nachweislich älter als der arabische Frühling oder auch das iranische Atomprogramm.

3.2. Israel / Palästina Parallel zum Projekt neue Weltordnung ist die Region seit Ende des zweiten Weltkrieges überschattet vom Konflikt zwischen Israel und seiner arabisch/islamisch feindlichen Umwelt. Während – ebenfalls nach mehreren Regionalkriegen – das Existenzrecht des Staates Israel de facto nicht mehr in Frage gestellt bzw. ernsthaft militärisch bedroht wird, stößt die Kriegs- und Besatzungspolitik dieses Staates auf Kritik, Widerstand und aggressive Reaktionen. Israel ist hochgerüstete Militärmacht und verfügt als einziges Land der Region über atomare Waffen. Es ist bestrebt, seine Stellung als Regionalmacht zu festigen.

3.3. Der arabische Frühling

Im Dezember begannen zunächst in Tunesien Aufstände, die soziale Unzufriedenheit zu Ausdruck brachten, sie endeten in Tunesien und Ägypten mit der Ablösungen der dortigen Regierungen, wurden aber auch dort sehr schnell von islamisch fundamentalistischen Kräften usurpiert und instrumentalisiert. In Libyen und Syrien führten sie zu bewaffneten Kämpfen und robuster Einmischung der arabischen Öl-Monarchien, der ehemaligen Kolonialmächte und der USA. Entsprechende Interventionen waren entweder im Zuge des Projektes Neue Weltordnung bereits vorbereitet oder wurden improvisiert. In Libyen führte der Bombenkrieg der Nato zum Sieg der Rebellen. Das politische Profil der Aufständischen und ihre Forderungen sind vollkommen unscharf. es focusiert sich in einem Punkt, dem geforderten Regimewechsel. Der inhaltliche Charakter des zu erreichenden Neuen Regimes wird nur sehr unspezifisch als „demokratisch“ gekennzeichnet. Die Opposition ist also – jedenfalls soweit das die hierzulande erhältliche Informationslage beurteilen läßt – offen für alle Kräfte, die egal aus welchen sozialen oder politischen Gründen interessiert an einer Ablösung des alten Regimes sind. Soweit es die bewaffneten Oppositionskräfte betrifft darf als gesichert betrachtet werden. dass sie getragen werden von durch die Ölmonarchien gestützten islamisch sunnitischen, fundamentalistischen, neokolonialen und neoliberalen Kräften.

4. Aktuelle Kriegsgefahr

4.1. In Syrien wird derzeit ein Bürgerkrieg geführt, der starke Interventionistische Züge trägt. Die Rebellen operieren mit Unterstützung des Nachbarlandes Türkei, der Arabischen Ölmonarchien und westlicher Geheimdienste. Die Nato-Staaten erklären wie gehabt einen Regimewechsel als Ziel der Auseinandersetzung und torpedieren jeden innersyrischen Interessensausgleich. In der Bundesrepublik, die sich offiziell aus dem Libyenkrieg raushielt, wird die syrische Opposition nach prowestlicher Ausrichtung organisiert. Derzeit scheint das syrische Regime militärisch die Oberhand zu behalten und einen wesentlich stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung zu haben, als zuvor z.B. in Libyen. Von außen wird immer stärker die offene militärische Intervention nach libyschem Muster gefordert und vorbereitet. Die Entscheidung der USA zum Krieg scheint aber noch nicht gefallen zu sein, kann aber jederzeit erfolgen. Besondere Brisanz gewinnt die Situation durch die engen Verbindungen Syriens mit dem Iran. Ein Krieg in Syrien könnte einen Flächenbrand auslösen. Gleichzeitig sind die beiden Länder die letzten, die dem Projekt neue Weltordnung im Wege stehen.

4.2. Iran Der israelische Ministerpräsident hat einen Militärschlag gegen den Iran noch vor den Präsidentschaftswahlen in den USA definitiv angekündigt. Ein offenbar fertig geplantes Kriegsszenario liegt vor, das mit 500 Toten auf israelischer Seite rechnet. Es gilt als unwahrscheinlich, daß ein solcher Schlag ohne US-Unterstützung geführt werden kann, allerdings würde ein Alleingang Israels eine solche Unterstützung gegen inneramerikanische Widerstände faktisch erpressen. Die Präsidentschaftswahlen sind am 6. November, also in anderthalb Monaten. Das Papier von Mathias Wörsching hebt zurecht hervor : „Ein Krieg im Nahen und Mittleren Osten wäre nicht nur für die Region unheilvoll, sondern könnte sich zu einer Menschheitskatastrophe ausweiten. Gründe dafür sind die in der Region angehäuften Waffenarsenale, die auch atomare und andere Massenvernichtungswaffen umfassen, und die strategisch-geopolitische Bedeutung der Region im Hinblick auf Verkehrswege (Persischer Golf, Suezkanal) sowie Rohstoffe (Erdöl und Erdgas).“ Gleichzeitig geht Mathias aber davon aus, daß der Iran der eigentliche Kriegstreiber sei. Er macht dies am iranischen Atomprogramm und an den inneren Verhältnissen im Iran fest. Die Aggressionen im nahen Osten geht aber sichtbar nicht vom Iran aus, in welch schrecklich innerer Verfassung das Land auch immer sein mag. Der Iran war mit seiner Zuordnung zur „Achse des Bösen“ bereits zum Abschuß freigegeben, als noch niemand über sein Atomprogramm sprach. Ganz abgesehen davon, dass es zahlreiche Belege und Stimmen einschließlich der US-Geheimdienste dafür gibt, dass kein Programm zur atomaren Aufrüstung existiert.

5. Die Friedensbewegung

Die Friedensbewegung hat anders als gegen die Irakkriege 1991 und 2003 keine nennenswerte Mobilisierung weder gegen den Krieg gegen Libyen noch gegen die aktuelle Kriegsgefahr hervorgebracht. Zwar gibt es von den Koordinationszentren der Friedensbewegung entsprechende Erklärungen aber keinen aktionsmäßigen Wiederhall. Lediglich am 1. September fand einen Demo gegen den Krieg in Syrien in Frankfurt statt, die vorwiegend von Immigrantenorganisationen getragen wurde. Eine wichtige Rolle dabei spielt wohl der Vorbehalt, ein Engagement gegen den drohenden Krieg, werde als Parteinahme für die jeweiligen Regimes wahrgenommen. Dagegen ist die Sympathie mit den „Demokratiebewegungen“ weit verbreitet, obwohl es so gut wie keinen belastbaren Informationen über die demokratische Qualität der bewaffneten Rebellenbewegungen gibt.

6. Gründe für friedenspolitische Zurückhaltung

Eine nicht unbedeutende Rolle in der Verweigerung der Solidarität mit den zu erwartenden Kriegsopfern spielt in Deutschland zum einen

6.1. das Verhältnis zu Israel, das sich im Falle des Irans einerseits als Kriegstreiber und Aggressor verhält, andererseits als Opfer künftiger (nach meiner Ansicht nach imaginierter) Aggressionspläne des Iran darstellt. Daraus erwächst auch eine entsprechende Verunsicherung innerhalb der VVN-BdA die sich ja der Sicherheit des Staates Israel verpflichtet fühlt. Nach meiner Ansicht kann und darf aus dieser Verpflichtung allerdings nicht die Zustimmung oder stillschweigende Duldung von Krieg und Kriegsvorbereitung abgeleitet werden.

6.2. Zum anderen spielen das mittlerweile sehr verbreitete und verwurzelte Feindbild des islamischen Fundamentalismus (der ja vom Regime des Iran verkörpert wird) eine wichtige Rolle bei der Abneigung oder Zögerlichkeit gegen den Krieg aktiv zu werden.

7. Die VVN-BdA

Der drohenden Kriegsgefahr muß eine klare antifaschistische Antikriegsposition entgegen gestellt werden: Weder ein Krieg gegen Syrien noch ein Krieg gegen den Iran dient der Sicherheit Israels oder irgendjemand anderes. Die VVN-BdA hat eine Verantwortung gegenüber einer zur Verunsicherung und Unklarheit neigenden Friedensbewegung: Kein Krieg gegen Syrien. kein Krieg gegen Iran. Wir verteidigen das Kriegsverbot und das Nichteinmischungsgebot des Völkerrechts. Keinerlei Waffenlieferungen in das Konfliktgebiet Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten.

Mein generelles Plädoyer für die Positionierung der VVN-BdA lautet:

Die Zurückhaltung in friedenspolitischen Fragen, die sich in den letzten Jahren eingestellt hat, ist angesichts der realen friedenspolitischen Entwicklung nicht zu rechtfertigen.

Wir brauchen eine starke Antikriegsbewegung.