Rede Jochen Dürr / 02.11.2013 / Heilbronn / Auftaktkundgebung

3. November 2013

Rede 02. November 2013 / Heilbronn / Demo “ Verfassungsschutz verbieten … „

Jochen Dürr, Landessprecher der VVN – BdA Baden-Württemberg

– es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, liebe Antifaschistinnen, liebe Antifaschisten,

 

für uns als älteste antifaschistische Vereinigung war es schon immer klar :

 

Faschismus ist ein Verbrechen, dazu bedurfte es keiner Naziterrorzelle.

 

Jeder, der das wissen will, weiß das seit den 20iger Jahren faschistische Bewegungen in Europa entstanden sind und zur Macht gelangten. Wer es zuvor nicht wissen wollte, erfuhr es spätestens 1945 als die von den Befreiern gemachten Bilder der Leichenberge der vom deutschen Faschismus zu Tode gequälten Menschen veröffentlicht wurden.

 

Man sollte also davon ausgehen, dass dies auch deutsche Politiker*innen, Behörden und Geheimdienste wissen können. Die aber gaben und geben sich auf vielfache Weise ahnungslos:

 

Beim Münchner Oktoberfestattentat, das 13 Todesopfer forderte, sollten die Täter zunächst aus dem linken politischen Umfeld sein und dann einigte man sich, wie so oft wenn Bomben geschmissen, Wohnheime angezündet oder Menschen totgeschlagen wurden, auf einen fehlgeleiteten jugendlichen Einzeltäter.

 

Solche Einzeltäter kamen zum Einsatz, als ein NPD Jugendfunktionär vor 3 Jahren in Lörrach dabei war eine Splitterbombe zu basteln – er wurde freigesprochen.

 

Als ein pressebekannter Nazi in Südbaden einen Antifaschisten über den Haufen fuhr und lebensbedrohend verletzte – er wurde freigesprochen.

 

Als Nazis in Schorndorf Migranten in eine Gartenhütte trieben und diese anzündeten – die Schuldigen konnten nicht erst gar nicht überführt werden.

 

Dies sind nur einige Beipiele aus der jüngeren Vergangenheit.

 

Bei keinem der annähernd 200 Todesopfer, die faschistischer und rassistischer Terror seit 1990 in diesem Lande gefordert haben gingen die damit befassten Behörden davon aus, was viele wissen:

 

Faschismus und Neofaschismus bringen keine fehlgeleiteten Einzeltäter hervor.

 

Faschismus und Neofaschismus organisieren den Terror, systematisch, geplant und rücksichtslos.

 

Weil Terrorismus verboten ist, sind wir auch der Meinung, dass Faschismus und Faschisten verboten sind und verboten gehören!

 

Das fängt an bei der deutschlandweit ältesten und größten Organisation in der sich Faschisten organisieren: Der NPD. Der beschämend schleppende Umgang mit dem seit Jahren häufig lippenbekenntnishaft geforderten Verbot dieser faschistischen Partei ist beispielhaft für den Umgang mit dem Verbrechen des Faschismus in diesem Land.

 

Es ist auch diese Systematik, in die in Stuttgart einen Staatsanwalt Häußler passt, der Antifaschist*innen jahrelang kriminalisiert hat, weil sie Buttons mit durchgestrichenen Hakenkreuze trugen und die Verfahren gegen die Naziverbrecher von St‘ Anna verschleppte.

 

Wer es ernst damit meint, dass Faschismus ein Verbrechen ist, der muß auch ernst machen mit dem NPD-Verbot.

 

Faschistische Betätigung und Propaganda dürfen auch keinen legalen Raum auf Strassen und Plätzen haben. Es muß Schluss sein mit den ständigen Naziaufmärschen und ihren menschfeindlichen Hetzparolen.

 

Es kann nicht sein dass Bürgermeister und Gemeinden, diese Aufmärsche verbieten, Gerichte sie dann aber wieder zulassen. Die Würde des Menschen muss auch dort als unantastbar verteidigt werden.

 

Es muss auch Schluss damit sein, daß Antifaschist*innen im Widerstand gegen diese Aufmärsche stundenlang gekesselt werden.

 

Artikel 139 des Grundgesetztes sagt, dass der Faschismus verboten ist und nicht die antifaschistischen Proteste.

 

Nach dem Bekanntwerden der Mordserie der faschistischen Terrorbande erleben wir dasselbe Spiel, dass sich uns seit Jahren nach jedem rechtsterroristischen Anschlag bietet:

 

Wieder sollen es isolierte fehlgeleitete Einzeltäter sein, am liebsten nur jene drei, notfalls eine Handvoll mehr, wie sie im Prozess in München angeklagt sind.

 

Es wird immer offensichtlicher, dass es sich um ein weitverzweigtes Netz des organisierten Terrors handelt, in das weite Teile des staatlichen Sicherheitapparates verwoben sind.

 

Das zeigt sich auch am Tatort hier in Heilbronn auf der Theresienwiese.

 

Der hier begangene Mord weicht deutlich vom Muster der andereren rassistischen Bluttaten ab.

 

Hier wurde eine Polizistin, deren Gruppenleiter Mitglied des Ku Klux Klans war erschossen. An diesem Tag wimmelte es auf der Heilbronner Theresienwiese nur so von Geheimdienstmitarbeitern. Mindestens 5 V-Leute von Geheimdienst und Polizei gaben sich dort ein Stelldichein.

 

Der baden-württembergische Verfassungsschutz wurde wenige Tage nach dem Mord von einer V-Frau auf Zusammenhänge mit der örtlichen Neonaziszene hingewiesen.

 

Alle 4 Phantombilder, die mit Hilfe von Zeugen nach der Tat erstellt wurden, ähneln weder Böhnhard noch Mundlos, eines jedoch auffallend dem baden-Württembergischen Neonazi, Ex-Söldner, JN Funktionär und mutmaßlichen V-Mann Alexander Neidlein.

 

Der aus Crailsheim stammende Alexander Neidlein wurde bekannt, nachdem er als 19-Jähriger 1993 einige Monate in Bosnien als Söldner für die HOS-Miliz der kroatischen Faschisten kämpfte. Hier knüpfte er Kontakte zu einer rechtsextremen Söldnertruppe. Am Flughafen von Johannesburg wurde von einem Mitglied des Ku-Klux-Klan empfangen. Neidlein wurde in Südafrika wegen illegalen Waffenbesitzes zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt und in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Hier ging er ebenfalls in Haft, da er sich seine Reise nach Südafrika durch einen Überfall finanziert hatte. Nach seinem Aufenthalt in Bosnien hatte Neidlein im Dezember 1993 ein Lübecker Postamt überfallen und 8.500 DM erbeutet. Dafür wurde Neidlein Ende 1994 in Lübeck zu einer Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Seit Ende der 90er Jahre machte er schnell Karriere bei der JN, der Jugendorganisation NPD und ist zwischenzeitlich der Landesvorsitzende der NPD Baden – Württemberg. Bei einer NPD Bustour im Bundestagswahlkampf auch hier in Heilbronn im September diesen Jahres trat er auch als Redner auf.

 

Aber damit noch noch nicht genug an Auffälligkeiten:

 

Vor wenigen Wochen verbrannte auf dem Cannstatter Wasen ein behördenbekannter Neonazi in seinem Auto. Er war nach Stuttgart gefahren um Aussagen zum Heilbronner Mordfall und über eine ihm bekannte weitere Neonaziterrortruppe, die „Neoschutzstaffel, NSS“ zu machen. Statt zum Termin beim Landekriminalamt; so die schnellen Ermittlungsergebnisse, fuhr er auf den Wasen und begann angeschnallt Selbstmord, wegen angeblicher „Beziehungsprobleme“.

 

Trotz vieler anderer Hinweise auf enge Zusammenhänge zwischen dem Terrornetzwerk NSU, der Neonaziszene in Baden Württemberg und dem baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz, gibt es im Unterschied zu anderen betroffenen Bundesländern in Baden-Württemberg bisher keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss um das Ausmaß dieser Verflechtungen zu untersuchen.

 

Wir fordern, dass das anders wird :

 

Im Landtag von Baden-Württemberg muss in einem Untersuchungsausschuss die Verbrechen der Naziterrorist*innen aufgearbeitet und die Verbindungen nach und in Baden-Württemberg untersucht werden.

 

Und noch eine Forderung ist im Lichte des neofaschistischen Terrors unausweichlich:

 

Verboten und aufgelöst gehören nicht allein die NPD und alle anderen faschistischen Organisationen und Umtriebe.

 

Verboten und aufgelöst, gehört auch eine Behörde die die Demokratie nicht schützt, weil sie Verbrechen zumindest verschleiert, wenn nicht aktiv fördert, weil sie den neofaschistischen Terror finanziert und damit auch unterstützt,

 

Verboten und aufgelöst gehört der Geheimdienst Verfassungsschutz und zwar sofort.

 

Die seit zwei Jahren nicht mehr zu verschleiernede und beschönigende Erkenntnis, dass neun Jahre lang eine faschistische Terrorgruppe unentdeckt, unverfolgt und unbestraft morden konnte hat bewiesen, dass Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist!

 

Dazu stehen wir heute hier in Heilbronn und am 16. November in Schwäbisch Hall auf der Straße!

 

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!